mechthild schneider
kunst & fotografie

Nach sechsjähriger Arbeit in der Staatskanzelei trat Mechthild Schneider 1991 in der Landesbildstelle die Nachfolge von Joachim Lischke an, dem Schüler von Otto Steinert, der 30 Jahre lang für das Landesinstitut für Pädagogik und Medien gearbeitet hat. 2005 erhielt sie den Monika von Boch Preis, eine der ganz seltenen Ehrungen im Bereich der Fotografie.

Ein Fotoapparat ist ein fast alltägliches Objekt, das jeder von uns zuhause hat. Wir nutzen ihn in der Regel zum Festhalten von Erinnerungen. Was unterscheidet das private Fotografieren, von der Fotografie Mechthild Schneiders? Es sind vor allem die künstlerische Darstellungsabsicht und die Fähigkeit zur Vorausschau des Ergebnisses. Mechthild Schneider doku¬mentiert, was sie sieht und bezieht auch den Bildausschnitt in ihre Planungen ein. Sie verändert praktisch nichts an dem, was sie in ihrer Umgebung beobachtet, sie setzt keine Filter ein, die gewählten Bildformate werden schon bei der Aufnahme berücksichtigt, das Licht wird möglichst authentisch wiedergegeben. Diese Arbeit ist nur mit genauer Kenntnis der Arbeitsmittel und ihrer Reaktionen möglich. Pablo Picasso hat einmal gesagt: „Ich habe dieses Werk in 5 Minuten gemacht, aber ich habe 35 Jahre gebraucht, um es in 5 Minuten machen zu können". Wer versucht, Mechthilds Arbeiten zu imitieren, wird sich schnell an dieser Aussage erinnert fühlen. Planerische Vorausschau beinhaltet aber noch einen anderen Aspekt: Die Geduld, auf den richtigen Augen¬blick zu warten. Wie ein Reporter, der die aussagekräftigsten Posen und Personen¬zusammen¬stellungen abwartet, wartet auch Mechthild Schneider den richtigen Moment und das geeignete Licht ab, um ihn dann als Foto zu fixieren.

Wann wird ein Foto zur Kunst? Diese Frage beantwortet der Bonner Kunsthistoriker Max Imdahl mit der Aussage: „Ein Kunstwerk ist eine vom Menschen gestaltete Mitteilung, die auf keinem anderen Wege gesagt werden kann." Mir wird es jetzt darum gehen, ihnen die künstlerischen Absichten im Werk Mechthild Schneiders zu zeigen, meine Sicht ihrer Botschaft darzustellen.

Mechthild Schneider stellt im Dillinger Schloss insgesamt 32 fotografische Arbeiten aus. Der erste Raum, den wir betreten, zeigt Blütenbilder. Es sind sehr großformatige Details von Pflanzen unserer Umgebung, die wir wegen ihrer Unscheinbarkeit im Alltag kaum wahrnehmen. Eine extreme Nahsicht zeigt die Perfektion dieser Pflanzen. Diese Perfektion steigert sich durch eine sehr klassisch-akademischen Bildgliederung. Die Kompo¬sitionen sind zentral angelegt, manchmal betonen sie Diagonalen, sie unterteilen die Bildfläche nach dem Maßverhältnis des goldenen Schnittes oder durch das Kompositionsverhältnis eins zu zwei. Die Künstlerin setzt diese ästhetisch- mathematischen Harmonien auch in der Hängung ihrer Arbeiten fort. So gibt es einen Rhythmuswechsel zwischen dem von Mechthild Schneider bevorzugten Panorama-Querformat und quadratischen Details.

Die Pflanzen auf den Fotografien erscheinen uns in reinen, sehr klaren Farben. Sie heben sich durch Farbintensität, Kontraste, Rhythmik und Bewegung von ihrem ruhigen Hintergrund ab. Mechthild Schneider balanciert ihre Farben im Foto aus: Kräftige Farbpunkte heben sich von blassen Farbflächen ab, Hell steht neben Dunkel. Sie sucht die farbige Ausgleichfläche, die - wie bei einer Waage - Ruhe und Stabilität bringt oder durch ihre Zurückhaltung eine einzelne Farbe strahlen lässt. Ein kleines, unscheinbares Mauerblümchen wird in ihren Fotos zur weißen, makellosen Schönheit. Die fingernagelgroßen Triebe eines Fettblatt¬gewächses strahlen in kostbarem Ultramarin wie ein Juwelenkranz.

Im Kontrast zu den sehr großformatigen Blütenbildern sehen wir im zweiten Raum eine Serie von Landschaftsbildern, die vom Format her deutlich kleiner gehalten sind. Mechthild Schneider hat sie in der unmittelbaren Umgebung ihres Wohnhauses in Wadern-Oberlöstern fotografiert. Wir sehen zahlreiche Variationen des Grün, wir sehen die Akzentuierung von gelbgrünen Halmen, die sich vom schwarzen, fetten Ackerboden und vom blass beigefarbenen Stroh abheben. Auch hier achtet Mechthild Schneider auf klassisch ruhige, ausgewogene Kompo¬sitionen. Sie machen das Ackerstück aus der Alltagsumgebung zu einem Naturausschnitt von wunderbarer Harmonie. Die Entdeckung der visu¬ellen Harmonie durch mathematische Aufteilung der Bildfläche stammt übrigens von den Pythagoräern aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Sie haben entdeckt, dass die Intervalle einer Tonleiter auf die Zahlenver¬hält¬nisse in den Längen schwingender Harfensaiten zurück¬geführt werden können. Das Verhältnis 1:2 ergibt die Oktave, 2:3 die Quinte, 3:4 die Quarte usw. Polyklet hat diese Beobachtung als ästhetische Mathematik in seinen Skulpturen umgesetzt, auch für die Entwicklung der Architektur war die Harmonielehre von entscheidender Bedeutung. Im Werk Mechthild Schneiders können wir solche rhytmischen Verhältnisse in der Aufteilung der Bildflächen wiederfinden. Sie ergeben den überzeitlichen, wunderbaren Gesamtklang ihrer Komposition.

Die gleiche Landschaft können wir zu unterschiedlichen Tageszeiten und bei verschiedenen Lichtverhältnissen wahrnehmen. Überraschungen er¬geben sich im Wechsel der Jahreszeiten. So sehen wir im dritten Raum eine Reihe von Winterbildern, die ebenfalls die Ackerflächen von Ober¬löstern zeigen. Die Bodenstrukturen des aufgepflügten Bodens werden durch einen leichten Schneebelag zu grafischen Mustern. Eine weiche Licht¬führung entlang der Bodenwellen und Erdhügel schafft einen Akzent von gerichteter Bewegung der Ackerfläche, die manchmal auch von kom¬positorischen Elementen wie Tieren oder Strommasten gegliedert wird.

Bei den Landschafts- und Winterbildern ist die Hängung besonders interessant, da die Querformate nicht nur als Einzelwerke gesehen werden, sondern von der Fotografin in Zweier- Dreier- oder Vierer¬gruppen zusammengefasst werden. So können wir Bewegungs- und Strukturlinien weiterverfolgen, Varianten in Kompositionen oder Bildausschnitten wahrnehmen.

Vergleichen wir eine solche Serie mit Werken der Bildenden Kunst, so fallen mir die Seerosenbilder von Claude Monet oder die Walchensee¬bilder von Lovis Corinth ein, bei denen die Künstler eine Vielzahl von Variationen ihrer häuslichen Umgebung malten. Malerei funktioniert jedoch anders als Fotografie. Malerei beinhaltet immer einen Aspekt der persönlichen Interpretation durch den Künstler. Das Erscheinungsbild der Natur wird verändert. Durch den Pinselduktus und die Malgeste - nicht zuletzt durch das Material Farbe selbst - wird die persönliche Sicht des Künstlers zum Ausdruck gebracht. Mechthild Schneiders Fotografie aus Oberlöstern mutet hingegen wie ein sachlicher, dokumentarischer Beweis der besonderen Eleganz und Ästhetik eines für unsere Augen vielleicht bedeutungslos daliegenden Ackerfeldes an.

Aus der Meeresbilder-Serie sind zwei Werke in Dillingen ausgestellt. In einem wölbt sich die durch ein extremes Weitwinkelobjektiv aufgenom¬mene Wasserfläche bis zu einem weiten Horizont, an dem sehr klein und unscheinbar zwei Personen wahrzunehmen sind. Ich fühle mich an Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer" erinnert, bei dem eine verschwindend kleine Gestalt einer ungeheuren Naturgewalt entgegenblickt. Die von Mechthild Schneider ausgestellten Meereslandschaften sind dominiert von einem nebligen Blau-Grau, das Himmel und Wasser fast miteinander ver¬schmelzen lässt. Im zweiten Küstenbild sehen wir eine Menschen¬gruppe. Die Komposition hält sie harmonisch wie einem musikalischen Akkord im Foto fest. Der Blick ist unscharf wie in einem Gemälde von Gerhard Richter, nur die Farben der Kleidung und der Gegenstände der Personen treten deutlich aus dem grauen Farbenmeer hervor. Es ist ein Spiel mit dem Medium der Fotografie. Sie lebt normalerweise vom Wechsel zwischen Schärfe und Unschärfe, lenkt unseren Blick auf die scharf gestellten Bilddetails. Die Unschärfe hingegen betont das Malerische, akzentuiert Farbe und Komposition.

Die neuesten Werke Mechthild Schneiders sind eine Vierergruppe von Tierstillleben. Tote Tiere werden ästhetisch in die sie umgebende Natur eingebettet. Wir sehen Farben vom Schnabel und Gefieder eines Vogels, die sich in der Farbigkeit des Herbstlaubes fortsetzen und in den Formen der Umgebung auflösen.

In einem anderen Fall wird ein Vogel von spiralig verlaufenden welken Halmen eingehüllt oder wir sehen das graue Fell einer Maus, das sich wie ein neues Strukturfeld in seine asphaltgraue Umgebung eingegliedert. Die Tierstillleben enthalten aus meiner Sicht eine künstlerisch beobachtete Schöpfungsbotschaft. Die Lebewesen kehren auf friedvolle und ästhetische Weise zur Erde, die sie geboren hat, zurück.

Welches Fazit können wir aus der Ausstellung ziehen? Marcel Proust hat einmal gesagt: „Die wahre Reise ist nicht eine Reise durch hundert Länder mit einem Augenpaar, sondern die Reise durch ein Land mit hundert Augenpaaren." Für mich erweitert Mechthild Schneider diesen Gedanken. Sie zeigt uns die Anmut und Schönheit der uns umgebenden gewohnten, alltäglichen Natur zu hundert verschiedenen Gelegenheiten. Sie regt uns an, die ästhetischen Reize im Alltag der Natur neu zu entdecken.

   
   

 

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